Meine Gasttöchter in Bolivien
Irgendwann am Ende des Jahres 2014 stolperte ich in unserer Tageszeitung über eine Anzeige von Amigos de la Cultura. Es werden Gasteltern gesucht, Gasteltern für Kinder einer deutschen Schule in Bolivien. Das hörte sich erstmal interessant an, irgendwie fremd und exotisch. Südamerika in unserem kleinen beschaulichen Ort. Der Familienrat wurde einberufen. Unsere zwei großen Töchter waren schon außer Haus und mit dem studieren beschäftigt. Sie sind in den zurückliegenden Jahren sehr viel in der Welt rumgereist und die Welt hat sie mit offenen Armen empfangen. Also, warum nicht wir auch die Welt?
Unsere Tochter nach Rat fragend (sie hat in Kolumbien studiert) meinte, dass wir uns das doch noch mal reichlich überlegen sollten. Unser kleines Dorf, so abgelegen. Die pünktlichen Busse in die Stadt (allerdings auch nur 3 am Tag), unser durchorganisiertes Leben, die andere Kultur, unser Hund, es gab irgendwie hundert Gründe, weshalb wir die Finger davonlassen sollten.
Aber allen Unkenrufen zum Trotz stand dann im September 2015 unser erstes Gastkind vor uns. Wir hatten jetzt nicht unbedingt ein Mädchen mit schwarzen Zöpfen, bunten Röcken und Bowlerhut erwartet, aber eine Latina mit Feuer irgendwie schon. Bekommen haben wir ein ganz ruhiges, zurückhaltendes, liebes Mädchen. Sie liebte unseren kleinen Ort, verpasste keine Busse, war organisiert und mochte unseren Hund. Natürlich brauchten wir alle etwas Zeit um eine Familie zu werden, es gab gute und auch schlechte Tage, wie überall. Aber am Ende dieser 4 Monate hatten wir eine Tochter mehr, eine interessante Zeit hinter uns und viele Tränen beim Abschied vergossen.
Einmal auf den Geschmack gekommen, sind wir ein Jahr später zum Wiederholungstäter geworden, nun aber für ein halbes Jahr. Es stand wieder keine Cholita am Bahnhof, sondern eine blonde Schönheit mit blauen Augen, aber mit dem Feuer der Südamerikaner. Nun ja, Pünktlichkeit ade, Organisation so la la, die Reiseideen reichten dafür für eine ganze Weltreise. Aber den Spaß, den wir zusammen hatten, ob bei unserem Campingurlaub mit Wohnwagen nach Kroatien, eine Fahrradtour bei gefühlten 50 Grad ohne Wasser oder dem Silvester in London, bleibt unvergesslich. Nun wurde der bolivianische Teil unserer Familie immer größer, zumal noch einige Freundinnen zu Besuch kamen, die wir auch alle in unser Herz geschlossen haben. Wieder gab es einen tränenreichen Abschied und ein Versprechen, dass wir uns wiedersehen.
2017 kam dann die Einladung von den Eltern unserer ersten Gasttochter. Die Abschlussfeier stand bevor und wir wurden zu diesem Ereignis herzlich eingeladen. Da wir selbständig sind, die Urlaubsplanung für das Jahr schon abgeschlossen war und die Arbeit nicht einfach liegen bleiben konnte, machte ich mich alleine auf den Weg um unsere Familie dort würdig zu vertreten. Unterdessen liefen in Bolivien die Vorbereitungen auf Hochtouren, als käme da ein Staatsbesuch, Die Familien unserer Gasttöchter taten sich zusammen und organisierten was das Zeug hält.
Nach einem wirklich anstrengenden Flug holten mich die Mütter vom Flughafen ab. Trotz meines rudimentären spanisch lief die Unterhaltung gut. Die Mädels hatten den letzten Schultag und ich konnte sie erst am Mittag in die Arme nehmen. Es ist in Bolivien üblich, dass sich die Familie zum Mittagessen zu Hause trifft. Ich war nun erst ein paar Stunden da, war aber am Mittagstisch schon Teil dieser wunderbaren Familien. Ob bei Großeltern, Tanten, Onkels, Geschwistern, Cousins und Cousinen, ich wurde überall ganz ganz herzlich aufgenommen.
Die erste Woche konnte ich im Haus meiner zweiten Gasttochter verbringen. Ich habe mich gefühlt wie Gott in Frankreich. Es war wundervoll. Ich liebte die Mangos und Ananas zum Frühstück, schwimmen in den Pools, das Leben im Condominium, das Wochenende in Dollys wunderschönem Ferienhaus in Conception, die Führung durch die Konditorei bei Tortas Dolly, der Tag im Güembe Resort, die Familientreffen, einfach alles. Die erste Woche verging wie im Flug. Jeden Tag gab es eine andere Überraschung. Nach der ersten Woche haben die Familien eine Tour für meine Gasttöchter und mich organisiert zum Salar de Uyuni. Mit einer winzigen Maschine von Amazonas Airline (das alleine war schon ein Erlebnis) flogen wir nach Uyuni auf ca. 3700 Höhenmeter. Vom Flughafen holte uns unser Tourguide mit Jeep und Fahrer ab. Nach einem opulenten Frühstück mit Coca Tee verschlangen uns dann die Weiten der größten Salzwüste der Welt.
Ich möchte jetzt hier nicht alle Details beschreiben, kann man ja schließlich in unzähligen Reiseberichten nachlesen, aber natürlich sind wir am Cementario de Trenes auf den Eisenbahnen rumgeklettert, sind auf den höchsten Punkt der Isla del Pescado bei sengender Hitze gestiegen, haben Lamas und Guanacos gesehen, versucht das perfekte Foto zu machen und in einem Hotel geschlafen, dass komplett aus Salz gebaut wurde. Dass ich kurz höhenkrank war, möchte ich auch nicht ausführlich beschreiben, sonst werde ich noch nachträglich von zwei Damen ausgelacht.
Wieder in der Stadt Uyuni angekommen, überzeugte ich dann meine beiden Diven, dass wir zum Flughafen laufen. Es war wirklich nur ein Katzensprung, das Gemecker war jedoch groß, aber man muss dazu sagen, dass man in Bolivien nicht läuft, jedes kleine Stück wird mit dem eigenen Auto oder dem Taxi gefahren. Die Wartezeit auf unseren Flug haben wir uns mit einigen Runden Mau-Mau verkürzt, das ist das Standardspiel bei uns zu Hause und jeder tritt die Rückreise nach Bolivien mit diesen Karten an. Der Rückflug war übrigens auch lustig, wir waren 5 Leute in der Maschine, also mit Pilot und Co 7 Mann, eine Tür zum Cockpit gibt es nicht und der Pilot hatte eine Landkarte vor sich liegen, musste aber die Taschenlampe benutzen um die zu lesen, wurde ja schon langsam dunkel. Trotz allem sind wir gut und sicher geflogen und gelandet.
In Santa Cruz gelandet, begann die Woche bei meiner ersten Gasttochter. Im Colegio Aleman waren wir bei der Übergabe der Diplome, sehr feierlich die ganze Geschichte mit Toga und Doktorhut, Ansprachen übrigens zweisprachig, hab ich zur Abwechslung auch mal was verstanden. Viele von den Gästen waren früher ebenfalls auf dieser Schule, also lief die Unterhaltung für mich „medio alemán.“ Mitgesungen bei der deutschen Nationalhymne habe ich gern, der Gesang bei der bolivianischen hat aber meinen übertrumpft. Ansonsten viel Glanz und Glamour. Ein Abschlussball, unvorstellbar, Kleider bei denen man sich nicht sattsehen konnte, wenn die Mädels über den roten Teppich schwebten. Es war wie ein Klassentreffen von Prinzessinnen und mittendrin die stolzen Familien und natürlich ich, als einzige Deutsche. Alle 7 Mädchen, die ich von Deutschland kannte, habe ich auf diesem Ball wiedergesehen.
Aber natürlich steckte noch viel mehr drin in dieser zweiten Woche. Das Wochenende verbrachten wir in einem faszinierenden Ferienhaus in Samaipata. Die Fahrt dahin war schon das reinste Abenteuer bei den Straßen und dem Verkehr. Samaipata liegt zwischen der Andengebirgskette und des bolivianischen Tieflandes, eingebettet in wunderschöne grüne Berge. Hier waren einst die Inkas zu Hause und die Ruinenstätte dieser Inkakultur. „El Fuerte de Samaipata“, ist heute ein beliebtes Ausflugsziel. Jede freie Minute habe ich in der Hängematte verbracht mit einem Traumausblick auf die Stadt und die Berge. Am Abend gab es Churrasco, übrigens sind Bolivianer Weltmeister im Grillen, also nichts für Vegetaria. Das Fleisch ist extrem lecker, alles Bio und nicht vergleichbar mit unserer Massentierhaltung. Dort sind die Tiere noch glücklich, davon konnte ich mich auch in der ersten Woche auf der Farm des Opas überzeugen.
Die Rückfahrt nach Santa Cruz war dann noch spannender. Es hatte in der Nacht geregnet. Die Straßen sind nicht so wirklich befestigt und durch die hoch beladenen LKW fehlt auch der Überblick nach vorn, aber wegen der verrückt fahrenden Bussen, von denen man dann nahe am Abgrund noch überholt wird, sitzt man sowieso etwas verkrampft im Auto, jedenfalls ich, was natürlich den Rest der Familie amüsierte.
Um meine Leser hier nicht übermäßig zu strapazieren, möchte ich nicht alle Einzelheiten im Detail beschreiben. Ich kann nur sagen, ich durfte ein wundervolles Land mit hinreißenden Menschen kennenlernen. Den letzten Abend verbrachte ich im Kreise beider Familien und war sehr glücklich über die Zeit, die ich mit ihnen verbringen konnte. Es hat an diesem Abend wie aus Kannen geschüttet, als würde Bolivien mit mir über diesen Abschied weinen. Die beiden Mädchen werden immer ein Teil unserer Familie sein, wir haben regen Kontakt und ich freu mich schon darauf, dass mein erstes Mädchen dieses Jahr in Deutschland ihr Studium beginnt.
Meine Geschichte endet hier. Es werden wohl aber noch viele Geschichten folgen, die uns mit den Menschen und diesem Land verbinden.